- Humane Mangelwirtschaft – Das Gesundheitssystem der DDR

Mangelwirtschaft © panthermedia.net / elxeneize

Am 03. Oktober feiert ganz Deutschland den Tag der Deutschen Einheit, den wichtigsten Feiertag hierzulande. Seit 25 Jahren ist die Teilung Deutschlands in DDR und BRD nun aufgehoben und das sollte ein Grund zur Freude sein. Viele ehemalige DDR-Bürger, aber auch Westdeutsche, trauern der Ost-Diktatur jedoch noch immer hinterher. Vor allem das Gesundheitssystem der DDR wird in einigen Kreisen hoch gelobt. Jeder zweite Deutsche, titelte Focus, wünsche sich das DDR-Gesundheitswesen zurück[1]. Und tatsächlich: sichtet man Quellen, Zahlen, Fakten, Statistiken und Zeitzeugenberichte, entsteht ein widersprüchliches Bild von der gesundheitlichen Versorgung in 40 Jahren DDR.

Zentralismus und Verstaatlichung

Noch heute wird in Deutschland gern über das Gesundheitssystem geschimpft. Lange Wartezeiten auf Facharzttermine, zu hohe Kassenbeiträge trotz mangelhafter Leistungen und Bevorzugung von Privatpatienten – von allen Seiten regnet es Kritik. Dass dieselben Leute, die über mangelnde Versorgung in Krankenhäusern klagen, sich zugleich das Gesundheitswesen der DDR zurückwünschen, scheint geradezu absurd.

Ähnlich wie in der BRD wurde in der DDR zunächst das auf Bismarck zurückgehende Sozialversicherungssystem eingeführt. Der sozialistischen Ideologie zufolge war das Gesundheitswesen in Ostdeutschland im Gegensatz zu dem Sozialversicherungssystem der BRD allerdings nahezu vollständig verstaatlicht und zentralistisch organisiert[2]. So gab es nur zwei große Versicherungsgesellschaften, die auch die Gesundheitsversorgung ihrer Versicherten mit abdeckten. Angestellte, Arbeiter, Studenten, Lehrlinge und freiberufliche Ärzte und Tierärzte versicherten sich in der Sozialversicherung der Freien Deutschen Gewerkschaft (SV FDGB). Selbstständige, Freiberufliche (außer Ärzte) und Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und Produktionsgenossenschaften des Handwerks kamen in der Staatlichen Versicherung der DDR unter[3]. Die monatlichen Beiträge der SV FDGB lagen bei 20 % und wurden je zur Hälfte von Werktätigen und Betrieb getragen. Kinder und Ehepartner versicherte die SV FDGB kostenfrei mit. Versicherte der Staatlichen Versicherung der DDR zahlten 10 Mark monatlich für ihre Krankenversicherung. Für die Versicherten entstanden in jedem Fall keine weiteren Kosten. Sowohl Behandlungen, als auch Medikamente wurden ohne Ausnahme von der Krankenversicherung übernommen[4].

In der Praxis gestaltete sich die Versorgungslage jedoch katastrophal. DDR-Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger sprach von einem „Widerspruch zwischen Zielstellung, Aufgabenstellung, auch Willensvorstellung und dem tatsächlich Erreichten“[5]. Vor dem Mauerbau und in den 80er Jahren kam es zu einem immensen Ärztemangel durch Abwanderung. Ostdeutschland bot bei weitem nicht die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und Freiheiten, die Medizinern im Westen gewährt waren. Viele Ärzte beantragen Urlaub im nicht-sozialistischen Ausland und kehrten nie zurück. Die in den Krankenhäusern zur Verfügung stehende Technologie war veraltet, Krankenschwestern wurden schlecht bezahlt, es herrschte Medikamentenmangel, sodass Ärzte ihren Patienten notgedrungen raten mussten, sich ihre Arzneien über Verwandte aus Westdeutschland zu besorgen. Erschreckende Berichte von Kanülen, die ungereinigt für mehrere Patienten verwendet und Kindern, denen ohne Betäubung die Mandeln entfernt wurden, kursieren unter Zeitzeugen. Abhängig von der Altersgruppe lag die Sterblichkeit eines durchschnittlichen Ostdeutschen zwischen 1,3 und 3 Jahren unter der eines BRD-Bürgers[1][6][7].

Aber es war nicht alles schlecht – so meint man unter Nostalgikern. Zur ambulanten Patientenversorgung waren sogenannte Polikliniken eingerichtet worden. Dort versammelten sich mehrere Fachärzte unter einem Dach, um eine umfassende Versorgung ermöglichen zu können. In der DDR herrschte außerdem Impfpflicht, es gab ein breites Angebot an Vorsorgeuntersuchungen, ein sorgfältig geführtes, landesweites Krebsregister, Pflichtuntersuchungen während der Schwangerschaft und Reihenuntersuchungen in Schulen und Kindergärten[7].

Untergang und Eingliederung

Spätestens in den 80er Jahren hatte sich die Lage des Gesundheitswesens durch wirtschaftlichen Mangel und Ärzteabwanderung immer weiter zugespitzt. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung konnte durch die Regierung kaum noch gewährleistet werden. Nach der Wende 1990 ging mit der DDR auch ihr Gesundheitssystem unter. Die Polikliniken wurden nach und nach geschlossen, verschiedene Forschungsprojekte eingestellt und die beiden großen DDR-Versicherungsgesellschaften aufgelöst. Die SV FDGB und die Staatliche Versicherung der DDR wurden von der Allianz SE übernommen. So wurde die Allianz zum ostdeutschen Marktführer. Nur in manchen ländlichen Regionen der Neuen Bundesländer haben sich durch den Facharztmangel und einige noch immer betriebene ehemalige Ostkrankenhäuser die DDR-Verhältnisse mitunter hartnäckig erhalten[5][6][8].

Vorbild oder Gesundheitsdiktatur?

25 Jahre nach der Wende ist Vieles verklärt. Die ehemalige DDR ist zum idealen Projektionsobjekt für Unzufriedene geworden. Obwohl aber die Zeitzeugenberichte überwiegend katastrophale Zustände beschreiben, kann das heutige Deutsche Gesundheitssystem sich vielleicht von einigen guten Ideen der sozialistischen Gesundheitspolitik inspirieren lassen. Vor allem das Konzept der Poliklinik, die damals die privatwirtschaftlich geführte Praxis eines Hausarztes ersetzte, birgt durch ihre umfassenden Versorgungsmöglichkeiten viele Vorteile und wird von Gesundheitspolitikern noch immer diskutiert. Darüber hinaus herrschte in Ostdeutschland zwar Ärztemangel, von den verbliebenen Ärzten hatte aber beinahe die Hälfte ihre Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner oder Inneren Mediziner absolviert. Der Beruf des Hausarztes scheint damals demnach wesentlich attraktiver gewesen zu sein als heute. Das System brachte aber auch viele Vorteile mit sich, die den bitteren Beigeschmack der Diktatur tragen. Es handelte sich zwar nicht um ein Zwei-Klassen-System, man ließ den DDR-Bürgern aber auch nicht die freie Versicherungsauswahl. Impfpflicht, Pflichtuntersuchungen und Reihenuntersuchungen garantierten nicht nur eine gute Erkrankungsprävention, sondern zwangen auch diejenigen zu Behandlungen und Untersuchungen, die diese unter normalen Umständen abgelehnt hätten[4][5][6][9].

Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Wenn aber die angezielte medizinische Versorgung der Gesamtbevölkerung trotz aller Mühen nicht garantiert werden kann, so kann ein Gesundheitssystem keine Vorbildfunktion einnehmen. Zurück bleiben nur Nostalgie und die Erinnerung an eine untergegangene Diktatur.

Quellenangaben:

[1] Alexander Wendt „Ein Paralleluniversum namens DDR“: http://www.focus.de/politik/deutschland/gesundheitssystem-ein-paralleluniversum-namens-ddr_aid_385845.html 06.08.2015
[2] Golfmann Stahlberger „Historisches zum Gesundheitswesen in Deutschland“: http://www.golfmann-stahlberger.de/information/publikationen/unternehmensberatung-im-gesundheitswesen/historisches-zum-gesundheitswesen-in-deutschland/ 06.08.2015
[3] Ratgeber-Krankenversicherung.de „Geschichte der Krankenversicherung“: http://www.ratgeber-krankenversicherung.de/geschichte-der-krankenversicherung/ 06.08.2015
[4] DDR Wissen „Gesundheitswesen“: http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Gesundheitswesen 06.08.2015
[5] Prof. Dr. Herbert Kreibich „40 Jahre Gesundheitswesen der DDR“: http://www.gbmev.de/archv/Gesundheitswesen_der_DDR_Kolloquium_60_Jahre_DDR.htm 06.08.2015
[6] Rainer Erices, Ante Gumz „DDR-Gesundheitswesen: Die Versorgungslage war überaus kritisch“: http://www.aerzteblatt.de/archiv/155957/DDR-Gesundheitswesen-Die-Versorgungslage-war-ueberaus-kritisch 06.08.2015
[7] Konrad Adenauer Stiftung „Gesundheitssystem und Lebenserwartung“: http://www.kas.de/wf/de/71.6593/ 06.08.2015
[8] DDR Wissen „Versicherung“: http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Versicherung 06.08.2015
[9] DDR Wissen „Poliklinik“: http://www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Poliklinik 06.08.2015